29 November 2006

Am Rande

Bemerkt habe ich ihn nicht gleich, er saß ja irgendwie abseits, versteckt. Es war um die Mittagszeit. Ich saß ihm gegenüber... etwa 20 Meter von ihm entfernt und wartete auf den Bus. Ich hatte Zeit und beobachtete ihn eine Weile.
Warum hatte er sich denn nicht auf die Bank gesetzt? Er ging ja sicherlich an ihr vorbei und musste sie gesehen haben; stattdessen funktionierte er seine voll bepackte Tasche in eine Sitzgelegenheit um.

Menschen in winterlicher Schutzkleidung durchquerten den Raum zwischen uns. Der Mann war damit beschäftigt, etwas zu essen und beachtete nicht, was um ihn geschah. Er saß am Rande. Es war kalt an diesem Tag. Wollte er die Bank, die jemand für die Bürger der Stadt gestiftet hatte, nicht für sich beanspruchen, weil er zu ihnen nicht gehört? Oder lehnte er sie ab, weil das kalte Metall ihm die eigene Körperwärme rauben würde?

Die Kälte, ja die Kälte war es.
Ich hatte zu lange darüber nachgedacht, ob ich ihm nicht einen Kaffee anbiete. Er stand auf, nahm die Tasche und ging.

24 November 2006

Die Schlange macht Werbung. Die Mutter schweigt

Es gibt einen besonderen der vielen Gründe dafür, warum es in der so genannten Wohlstandsgesellschaft schwierig ist, ein christliches Leben zu führen, welches das jesuanische Armutsideal nachzuahmen versucht. Der Konsum.

In christlichen Bildern gesprochen, agieren die Werbemacher vielfach wie das bekannte Kriechtier aus dem hebräischen, ersten Buch der Torah. Der Werbepsychologe entdeckt die emotionalen Bedürfnisse der Käufer


("Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott der Herr gemacht hatte")

und spricht oft diese scheinbar unbeteiligt an.


("Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?")

Oder er behauptet etwas, wovon man vorerst nicht weiß, ob es wahr oder unwahr ist.

("Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werden wie Gott und erkennt Gut und Böse")

Nicht selten sieht dann der Umworbene,


dass es köstlich ist, von dem Baum zu essen und dass der Baum eine Augenweide ist und dazu verlockt, klug zu werden".


Wenn nicht schon früher, dann spätestens an diesem Punkt angekommen, sollte sich jeder Konsument christlicher Prägung an diese Paradies-Geschichte erinnern. Die Freiheit der Entscheidung ist uns gegeben, weil wir die finanziellen Mittel besitzen, uns dies oder jenes zu leisten. Ich persönlich stehe häufig vor der Frage: Muss ich diese Sache denn unbedingt haben? Es ist schwer, die Grenzen der Genügsamkeit abzustecken. Unsere Mutter K. hat sich, soweit mit bekannt ist, aus dem Bereich solcher alltäglichen "Erziehungsfragen", die Ihre Kinder beschäftigen, weitgehend zurückgezogen.

Geschieht das aus der falsch verstandenen Angst, ihre Kinder dadurch zu verlieren; werden sie doch auch als Kinder der modernen Gesellschaft betrachtet und dadurch für mündig gehalten..? Oder kümmert sie sich vielmehr aus Bequemlichkeit um diese Problemfragen nicht?

18 November 2006

Dieser Film ist sehenswert...


"Mein Leben ohne mich"
(My Life Without Me) Kanada/Spanien 2002 ...

... ist eine Geschichte über das Abschiednehmen vom Leben inmitten des Lebens.
Meiner Ansicht nach, die modernste Adaptation des mittelalterlichen memento mori-Gedanken. Meisterlich, weil unbeschwert und sensibel zugleich erzählt, so als würde es sich bei dem Thema um das Selbstverständlichste handeln.

Sonntag, 19. November 23:30, ARD

13 November 2006

Über die Be-Deutung der Gegenstände

"Meine Tochter ist unlängst acht Jahre alt geworden. Sie hört gerne Musik, nicht unbedingt nur Kinderlieder. Sie ist auch gegen manche Bands nicht abgeneigt, die mehr aus der alternativen Ecke kommen. Vielleicht liegt das daran, dass sie schon in Mamas Bauch diese Musik "hörte"; damals wurde sie in unserer Wohnung oft gehört.
Wie auch immer... Weil sie gerne Musik hört, hat sie sich zu ihrem achten Geburtstag einen MP3-Player gewünscht.

Ich war natürlich verwundert und skeptisch (oder klarer gesagt: dagegen). Doch sie setzte sich durch.
Da ich mich mit solchen Geräten nicht auskenne, bat ich meinen Bruder, das Geschenk zu besorgen. Zwei Tage vor dem Geburtstag wurde das besagte Abspielgerät bei einem "großen Elektronik-Fachgeschäft" gekauft.
Und nun komme ich zum Wesentlichen.

Als ich das "Ding" sah, dachte ich: "Wie billig": das Gehäuse aus Kunststoff, die Tasten aus Kunststoff und dazu noch recht wackelig eingebaut, die Bedienung kompliziert.... Gut, es funktionierte, das Überspielen der Lieder vom PC klappte einwandfrei und schnell, aber sonst...

Ich wurde auf eine seltsame und mir unerklärliche Weise traurig. Anfangs verwirrte mich mein Zustand. Doch nach einiger Zeit erkannte ich die Ursache.

Meine Tochter konnte nicht abwarten, wann denn ihr Geburtstag endlich kommen werde. Sie freute sich so sehr auf das Geschenk, dass sie immer wieder davon sprach. Sie erzählte, was sie denn alles mit dem MP3-Player tun werde und wohin sie es überall mitnehmen wolle (für die langen Fahrten im Auto, auf die Urlaubsreise, ... aber nicht in die Schule. Nicht etwa, weil die Lehrer es verbieten, oh nein... Sondern weil man es ihr dort stehlen könnte (sic)).
Sie wollte mehrmals am Tag wissen, ob ich denn schon die von ihr ausgesuchten Lieder überspielt habe und wie das denn eigentlich funktioniere.

Schlicht und einfach: ES WAR FÜR SIE ETWAS BESONDERES!

Und da erkannte ich den Grund für meine Traurigkeit. Das Gerät, das in meinen Augen eine schlechte Qualität besaß, war in den kindlichen Augen zum Gipfel des Glücks und zum Ziel aller Träume geworden.

Warum? Weil vielleicht das"große Elektronik-Fachgeschäft" und mit ihm die anderen Konsorten es geschafft haben, die Aufmerksamkeit des kleinen Menschen, der von ihnen Konsument genannt wird, zu erobern; durch bunte Bildern, laute Musik und mit noch vielen anderen, sehr genau berechneten Strategien. Fürwahr, sie habe sich darum bemüht und sie haben es wirklich geschafft.

Und wenn Sie mich jetzt fragen, ob ich meinem Kind wirklich etwas BESONDERES geschenkt habe, dann muss ich sagen: "Nein. Das Geschenkte hatte in diesem Fall die Freude, mit der es erwartet wurde, nicht verdient" und ich fühle mich als hätte ich mein Kind betrogen."

09 November 2006

... ein paar Gedanken zu Jona

"Haben Sie sich nicht auch schon mal gefragt, was Jonas Widerstand und seine sich zur Wut steigernde Haltung zu bedeuten haben? Und warum er als Prophet im Auftrag des Herrn eine so schlechte, ja tadelnswerte Figur macht?

Nicht nur, dass er anfangs nach Tarschisch also ans Ende der Welt fliehen will, und zu seiner Mission gezwungen werden muss. Sondern auch weil er später, schon in Ninive, den Auftrag ehe schlecht als recht erledigt. Für eine Stadt die so groß ist, dass man drei Tage braucht, um sie zu durchschreiten, nimmt er sich lediglich einen Tag Zeit, und statt einer flammenden Rede zur Umkehr spricht er lediglich einen recht einfachen Satz aus: „Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!“.

Warum verhält sich der Prophet Jona so halbherzig und ungehorsam?! Hat er etwa Angst um sein Leben verspürt bei dem Gedanken, in einer Großstadt predigen zu müssen? Fühlte er sich etwa der Rolle nicht gewachsen zu sein, wie David vor Goliath hinzutreten?
Die Lesung setzte an der Stelle an, an der es sicher ist, dass die Stadt gerettet wurde. Die Bewohner von Ninive haben auf das Wort des Propheten gehört. Sie – Menschen und Tiere, Rinder, Schafe und Ziegen – haben gefastet und Buße getan, worauf Gott die angedrohte Zerstörung der Stadt aufgehoben hat.

Warum aber in aller Welt gefällt das alles Jona nicht? Im Gebet das Jona an seinen Auftraggeber richtet, sagt er – und eine gewisse Empörung ist darin unüberhörbar - Habe ich das nicht gesagt, als ich noch daheim war? Es kam genau, wie ich es sagte.
Jona freut sich gar nicht über die Errettung der Stadt. Ganz und gar nicht. Er ist wegen des positiven Abschlusses der Mission, den er ohnehin erwartete, betrübt!

Spätestens hier wird einiges klar. Jona ist nicht feige gewesen! Nein! Noch vor seiner Beauftragung durch Gott muss etwas passiert sein, das ihm Unbehagen bereitet hat.
Könnte es denn sein, dass Jona die heiligen Schriftrollen sehr genau studiert hat, und dabei an einen Punkt gekommen ist, an dem ihm – Mitten in allen Vorschriften des Gesetzes - die Barmherzigkeit Gottes aufleuchtete?

Jona scheint gewusst zu haben, dass seine Mission nur ein Ende nehmen würde. Unter der Bedingung nämlich, dass die Bewohner von Ninive Buße tun würden, hätte Gott die angedrohte Strafe zurückgezogen.

Damit befinden wir uns aber mitten im Konflikt, den Jona in seinem Inneren austragen muss und vor dem er floh.
Es geht hier, so meine ich, um das Verständnis von Gerechtigkeit.

Jona hat gelernt und glaubt fest daran, dass Gott mit den Menschen/Juden einen Bund geschlossen hat. Zur Pflicht hat er dabei gemacht, dass seine Gebote eingehalten werden. Jona weiß und glaubt, dass derjenige gerecht ist, der die Gebote befolgt. Ein sündiges Leben wird bestraft. Doch seltsamerweise scheint Gott sich selbst an die von ihm gemachten Vorgaben nicht zu halten. Die Pflicht zur Einhaltung derselben Gebote relativiert er immer wieder durch seine Barmherzigkeit! Die Gnade die den Sündern von Ninive gewährt worden ist, wirkt auf Jona wie das Eintreten der schlimmsten Befürchtungen. Der innere Konflikt, der ihn zu Flucht vor dem Auftrag Gottes bewog, entzweit ihn jetzt so sehr (?), dass er sich lieber den Tod als das Leben wünscht.

Dieser innere Konflikt der ihn fast um den Verstand bringt, flammt noch einmal mit aller Gewalt vor den Toren der Stadt auf - Jona zieht es nämlich vor, als Gerechter, außerhalb der Mauern zu übernachten. (Auch eine Art von Flucht? Immer noch nichts gelernt) An zwei aufeinander folgenden Tagen handelt Gott an Jona. Und alles wirkt wie eine letzte Lektion, die am Höhepunkt der Erzählung Jona erteilt wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es in der ganzen Geschichte von Jona und den Bewohnern von Ninive darum geht, dem Propheten – und dadurch uns, den Hörern des Wortes – die Augen zu öffnen. (Oder vielleicht eher das Herz?)

Denn ist es nicht so, dass wir gerade die Erfahrungen lehrreich nennen und als wichtig erachten, die uns an unsere Grenzen geführt haben und dann über sie hinaus? Wie kostbar sind im Nachhinein die Erfahrungen der Tage, die wir im heißen Ostwind und sengender Sonne gemacht haben.
Auch Jona wird geprüft. Gott lindert zuerst seine Quallen, indem er einen Rizinustrauch wachsen lässt. Doch gleich am folgenden Tag wird Jona durch den heißen Ostwind und sengende Hitze provoziert, so dass er im Zorn Gott entgegnet „Ja, es ist recht, dass ich zornig bin und mir den Tod wünsche.“

Das Buch Jona endet mit einem mächtigen Paukenschlag, aber nicht mit Trompeten. Gott sagt: „Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt in der mehr als 120 000 Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können – und außerdem so viel Vieh?“ Und so bleibt nur die Stille der Bewunderung für die heilende Frage Gottes, die wie eine Antwort ist.

Die plötzliche und wunderbare Stille nach dem Sturm…
Nach dem Sturm der einem das Herz zerreißen wollte… "

05 November 2006

Nächstenliebe und Handydialoge

Gestern saß ich mal wieder in einem vollen Bus. Da stieg eine junge Frau ein, ihr Handy am Ohr. Die Fahrt dauerte 20 Minuten, das Gespräch auch.
Sie began ihre Unterredung, d.h. sie setzte sie wahrscheinlich fort, mit den Worten : "... wo war ich stehen geblieben ..?" Sie beendete ihr (eher Mono- als) Dialog kurz bevor der Bus die Haltestelle erreichte, an der sie aussteigen wollte.
In der S-Bahn, die ich als mein nächstes Verkehrsmittel wählen musste, dasselbe; mit dem unbedeutenden Unterschied, dass jene (ebenfalls 20-minütige) Unterredung auf Russisch geführt wurde. Wohin wird uns das führen, fragte ich mich.

Die Inhalte der "Handy-Gespräche" werden den zufällig Anwesenden, ob sie es wollen oder nicht, präsentiert. Die einzelnen Sätze schweben dann in den öffentlichen Verkehrsmitteln, in den Restaurants oder auf den Strassen, wie Sprechblasen über den Köpfen der Menschen. Das Mit-Geteilte wird, weil in den öffentlichen Raum hinein gesprochen, zum Mit-Gehörten und gelangt über das ungeschützte Ohr in uns.

Ein Teil des Mit-Geteilten war auf diese Weise gestern in mir... Die Geste des Teilens kann ich sehr gut christlich interpretieren und als etwas Positives auffassen. Doch gestern hat mich die vierzigminütige "Portion" mehr als gesättigt.

Was unterscheidet solche "Handy-Gespräche" von den gewöhnlichen "Telefongesprächen", aber vor allem von den Gesprächen, die bei gleichzeitiger, räumlicher Anwesenheit der Dialogpartner stattfinden?
Warum scheint es den (leidenschaftlichen) Handy-Telefonierern nichts auszumachen, auf dem Podest zu stehen? Welches unheimliche (oder heimliche) Vergnügen bereitet es ihnen, sich auf diese Weise mitteilen zu können? Ist es eine Form des erlaubten (im Sinne von: nicht tabuisiert) Exhibitionismus?
Kann dieses Verhalten etwas Gewichitges über den Zustand unserer Gesellschaft aussagen?

Ist hier aber womöglich meine Nächstenliebe gefragt, die erduldet..?