29 Januar 2007

Integration und Auschwitz, 2002


Wie seltsam anmutend ist das um die Jahreszeit noch frisch wirkende Grass in dieser Vertiefung…

Daneben eine Informationstafel und ein Bild: „Häftlinge beim Ausheben eines Entwässerungsgrabens, 1943“.

Zwischen damals und heute liegen 59 Jahre. Auf der sich verschiebenden Zeitachse blieb nun als Erinnerung dieser Eindruck in der Erdoberfläche. Der Graben, an dem HEUTE die Natur ihre Herrschaft wiedererlangte, ist GESTERN entstanden. Er zeugt vom Bruchteil der Lebens- und Leidensgeschichte bestimmter, real existierenden Menschen. Auf der vergrößerten Fotografie daneben sind ihre Gesichter und die ihrer Bewacher nur undeutlich zu erkennen.

Nicht weit von hier entfernt erledigen einige Arbeiter die nötigen Restaurierungsarbeiten. Selten nur, und absolut ganz selten auf solch eindrückliche Weise, wird die Gegenwart von der Vergangenheit berührt.

Das lateinische Wort integrare bedeutet wiederaufnehmen. Dabei kann in dieser Bedeutung ein Krieg aber auch ein Gesang wieder aufgenommen werden; eine andere Bedeutung dieses Wortes ist: etwas geistig auffrischen.

Der übrig gebliebene Graben – vom Todestor aus gesehen rechts gelegen, unweit der ersten Baracken – macht an diesem heute so stillen Ort beide Bedeutungen möglich. Und vielleicht genau in dem Grün des damals ausgehobenen Hohlraums, des winzigen Ausschnitts der Tötungsmaschinerie finde ich ein Deutungshinweis: eine stumme und doch wahrnehmbare Botschaft.

Verstehen und aussprechen kann sie allerdings nur der Mensch. Nur er, das einzige sprechende Lebewesen kann bewirken, dass die Menschheit auf ihrem Weg die Orientierung nicht verliert, auf dem Weg, der sie von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft führt.

Oswiecim/Auschwitz Oktober 2002

25 Januar 2007

Mt 11 28


Ps 113 2

Von Prüfugsvorbereitungen vereinnahmt, bleibt mir mir momentan kaum Zeit, um zu posten.

Als Lebenszeichen daher die Bilder...

23 Januar 2007

Lobe den Herrn, meine Seele...


08 Januar 2007

tram

Mit ihrer rechten Hand umfasste sie fest den Griff auf der linken Seite des Sitzes, mit ihrer linken hielt sie sich an ihrer Handtasche fest. Die Straßenbahn fuhr schnell im unebenen Gleisbett und die Fahrgäste schaukelten und schunkelten unfreiwillig hin und her im immer gleichen Takt, zur summenden Melodie der Elektromotoren.

Neben ihr saß ein Mann, ihr Mann, beide in graumelierten Mänteln der Hochbetagten. Tiefe Furchen gezeichneter Gesichter, wie die Skizze einer Landkarte, die Lebenswege in dauerhafter Erinnerung festhielt und die Augen, die starr aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Ausschnitte der Stadtlandschaft schauten, ohne sie zu sehen.

Manchmal ein Wort aus ihrem Mund, vor sich hin gesprochen, und doch für sein Ohr bestimmt, dann wieder Schweigen. Er verstand sie gut, eine Antwort war in seinem Schweigen, das sie verstand.

Man hat das Paar nicht beachtet, es gibt so viele davon: Leben, die paarweise das Leben durchwandern, schwer beladen mit unsichtbarer, hundertjähriger Erinnerung an Großeltern, Eltern, Kinder, Enkel...

Und im Mittel- und Schnittpunkt sie beide.

An der Haltestelle, an der niemand aussteigen wollte, verließen sie die Bahn und verschwanden im Dunkel des winterlichen Abends.

02 Januar 2007

Sonne der Gerechtigkeit

Gegen Ende des Jahres 2006 hat uns die Nachricht von der Hinrichtung eines ehemaligen (in der 1. Welt auch als Diktator bezeichneten) Staatschefs erreicht. Die Aufnahmen, die die letzten Minuten seines Lebens festhalten, sind nun in der ganzen Welt bekannt.

Nur eine kurze Zeit später hat sich ein anderer, gegenwärtig noch amtierender Staatschef (auch als der führende Vertreter des so genannten Bushismus identifizierbar) zu der - noch vor Sonnenaufgang durchgeführten Exekution - geäußert. Er hat in der erfolgten Tat (der so genannten Urteilsvollstreckung) einen Meilenstein auf dem Weg des demokratischen Aufbaus des Landes gesichtet.

In der Vorstellungswelt dieses Staatschefs wurde wohl an jenem Zeit-Punkt das Volk, das früher von dem nun hingerichteten Staatschef regiert wurde und solange im Dunkeln wandelte, von den Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit erleuchtet.

Diese zwei geschichtlichen, also realen Ereignisse, die Hinrichtung und ihre verbale Interpretation, haben zu einer Zeit stattgefunden, in der die christliche Welt Weihnachten feiert. Die Christen begehen da aber nichts anderes als die Geburt von Jesus, der von ihnen auch Kyrios oder Herr genannt wird, was inhaltlich durchaus mehr als Staatschef bedeutet und mit der Bezeichnung Herrscher ziemlich genau den Anspruch des neugeborenen Knaben beschreibt. Zugleich gilt er ihnen als die „wahre Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,20).

Die Feiern der Geburt von Jesus werden im Monat Dezember um die Wintersonnenwende begangen. Die Tage werden von da nun wieder langsam länger, die Sonne gewinnt die Oberhand und vertreibt allmählich die Dunkelheit. Interessant ist in dem Zusammenhang die Hypothese, das Fest der Geburt Christi, hätte das heidnische Fest des „sol invictus“, des unbesiegten Sonnengottes verdrängt, das in der antiken römischen Welt am selben Tag, dem 25. Dezember, begangen wurde.

Ich möchte an dieser Stelle zwar nicht für die Wahrheit der These eintreten, finde aber den Inhalt einer solchen Interpretation absolut wahr. In Lichte dieser Interpretation erscheinen beide beschriebenen Ereignisse für Christen nicht hinnehmbar. Das Neugeborene (auch als das inkarnierte Wort Gottes bekannt) kam nicht in die Welt, um zu töten, sondern um alle Menschen am Leben zu erhalten, ja um ihnen ein neues Leben zu schenken.

Das Leben ist und bleibt die größte Gabe und dessen irdische Dimension das Symbol des ewigen Lebens. Niemals darf das Töten (oder anders gesprochen: das Weg-Nehmen) von Menschenleben den Beginn einer besseren Zukunft markieren, oder als das Aufscheinen der Sonne der Gerechtigkeit gesehen werden.

Die wahre Sonne der Gerechtigkeit erleuchtet, wärmt, gibt und schützt das Leben. Die christliche Lösung ist nicht das Töten, sondern die Sühne. Sie ist der christliche Weg (und Ausweg zugleich).