05 November 2006

Nächstenliebe und Handydialoge

Gestern saß ich mal wieder in einem vollen Bus. Da stieg eine junge Frau ein, ihr Handy am Ohr. Die Fahrt dauerte 20 Minuten, das Gespräch auch.
Sie began ihre Unterredung, d.h. sie setzte sie wahrscheinlich fort, mit den Worten : "... wo war ich stehen geblieben ..?" Sie beendete ihr (eher Mono- als) Dialog kurz bevor der Bus die Haltestelle erreichte, an der sie aussteigen wollte.
In der S-Bahn, die ich als mein nächstes Verkehrsmittel wählen musste, dasselbe; mit dem unbedeutenden Unterschied, dass jene (ebenfalls 20-minütige) Unterredung auf Russisch geführt wurde. Wohin wird uns das führen, fragte ich mich.

Die Inhalte der "Handy-Gespräche" werden den zufällig Anwesenden, ob sie es wollen oder nicht, präsentiert. Die einzelnen Sätze schweben dann in den öffentlichen Verkehrsmitteln, in den Restaurants oder auf den Strassen, wie Sprechblasen über den Köpfen der Menschen. Das Mit-Geteilte wird, weil in den öffentlichen Raum hinein gesprochen, zum Mit-Gehörten und gelangt über das ungeschützte Ohr in uns.

Ein Teil des Mit-Geteilten war auf diese Weise gestern in mir... Die Geste des Teilens kann ich sehr gut christlich interpretieren und als etwas Positives auffassen. Doch gestern hat mich die vierzigminütige "Portion" mehr als gesättigt.

Was unterscheidet solche "Handy-Gespräche" von den gewöhnlichen "Telefongesprächen", aber vor allem von den Gesprächen, die bei gleichzeitiger, räumlicher Anwesenheit der Dialogpartner stattfinden?
Warum scheint es den (leidenschaftlichen) Handy-Telefonierern nichts auszumachen, auf dem Podest zu stehen? Welches unheimliche (oder heimliche) Vergnügen bereitet es ihnen, sich auf diese Weise mitteilen zu können? Ist es eine Form des erlaubten (im Sinne von: nicht tabuisiert) Exhibitionismus?
Kann dieses Verhalten etwas Gewichitges über den Zustand unserer Gesellschaft aussagen?

Ist hier aber womöglich meine Nächstenliebe gefragt, die erduldet..?

Keine Kommentare: